Wo Stehst Du
Und obwohl die Kluft zwischen beiden Seiten oft unüberwindlich scheint, bleibt in der Tiefe eine Verbindung bestehen, die nicht wirklich getrennt werden kann. Denn aus biologischen, familiengeschichtlichen und psychologischen Gründen bleiben wir Teil der Familie, sie ist unsere Ursprung, ob wir wollen oder nicht. Die Beziehung zu den Eltern ist die erste Beziehungserfahrung unseres Lebens. Wir sind am Anfang unseres Lebens abhängig von dieser für uns so wichtigen Verbindung. Wie Entwicklungspsychologen beweisen, prägt sie auch alle späteren Beziehungen in unserem Leben, zu Kindern, Freunden, dem Beziehungspartner. Deshalb habe ich mich diesem Bereich der Beziehungsberatung ganz besonders verschrieben. Auch meine eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen haben dazu beigetragen, dem Thema Eltern- Kind- Beziehung besondere Aufmerksamkeit zu schenken und mich intensiv damit zu beschäftigen. Wenn Sie selbst als Eltern vom Kontaktabbruch betroffen sind, oder wenn Sie als erwachsene Kinder den Kontakt zu den Eltern abbrechen wollen oder abgebrochen haben, bin ich gerne für Sie da.
Spätestens, wenn man eigene Kinder bekommt und sie nach den Großeltern fragen, muss man sich dem Thema noch mal stellen. SPIEGEL ONLINE: Jemand sucht Sie auf und sagt, dass er den Kontakt zu den Eltern abgebrochen hat - aber nicht damit klarkommt. Wie gehen Sie vor? Konrad: Ich schaue mit meinen Klienten in ihre Lebens- und Familiengeschichte. Kontaktabbruch ist oft ein transgenerationales Phänomen, also etwas, was in verschiedenen Generationen immer wieder auftritt. Das heißt, dass in der Familie keine gesunden Konfliktlösestrategien vorgelebt und entwickelt werden konnten. Und da setze ich dann an: Wie können Sie sich übereinander ärgern und trotzdem in Kontakt bleiben? Wie schaffen Sie es, Ihre Bedürfnisse zu formulieren? Wie setzen Sie gesunde Grenzen? SPIEGEL ONLINE: Haben Sie schon mal vor einem Klienten gesessen, dem sie am liebsten geraten hätten, er solle sofort die Kontaktdaten seiner Eltern löschen? Konrad: Als Therapeutin gebe ich keine Ratschläge. Ich frage: "Was brauchen Sie, damit es Ihnen gut geht?
Foto: Kirsten Nijhof Sandra Konrad, Jahrgang 1975, ist Diplom-Psychologin und Sachbuchautorin. Sie arbeitet als Einzel-, Paar- und Familientherapeutin in Hamburg. Wie stark die Familie uns über Generationen hinweg beeinflusst, beschreibt sie in ihrem Buch "Das bleibt in der Familie - Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten". SPIEGEL ONLINE: Frau Konrad, wie kommt es dazu, dass erwachsene Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen? Sandra Konrad: Konflikte gibt es in jeder Familie und viele ziehen sich nach einem Streit erst einmal voneinander zurück. Ein vollständiger Kontaktabbruch ist eine andere Dimension. Er ist oft auf eine tiefere Wunde zurückzuführen, zum Beispiel darauf, dass Kinder sich schon früh und lange nicht gesehen, gehört oder geliebt fühlten. Ein Streit kann dann der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, während das eigentliche Problem ein ganz anderes ist - zum Beispiel physische oder psychische Gewalt. SPIEGEL ONLINE: Ist ein Kontaktabbruch in solchen Fällen der richtige Weg?
Neben den Kontaktabbrechern gibt es auch die, die blind an ihrer Familie festhalten, egal, wie destruktiv sie ist. Ich habe schon erlebt, dass Menschen, die von ihren Eltern missbraucht wurden, auch die eigenen Kinder zu den Großeltern bringen - obwohl die Gefahr besteht, dass sie ebenfalls missbraucht werden. SPIEGEL ONLINE: Wie können Eltern dieses Risiko ernsthaft eingehen? Konrad: Sie haben sich nicht abgelöst - und sind auf eine krankhafte Weise loyal. Loyalität ist ein starker Klebstoff, selbst dann, wenn Kinder von ihren eigenen Eltern missbraucht wurden. Gesunde Ablösung bedeutet, dass ich meinem Kind gegenüber loyaler bin als meinen Eltern, auch, wenn ich die Eltern dadurch verletze, gegen mich aufbringe oder familiäre Gesetze breche. Wer in der Kindheit Schlimmes erlebt hat, bekommt das aber häufig nicht hin: Er steht zu den Eltern, die Sehnsucht nach der idealen Familie hört nie auf. SPIEGEL ONLINE: Wie fühlt sich ein finaler Kontaktabbruch für die Eltern an? Konrad: Sie fühlen sich häufig ohnmächtig und verzweifelt und erleben einen Trennungsschmerz, der seelisch und sogar körperlich wehtun kann.
Diese Sorge war es auch, die Adelheid Schmitz in den kurzen Intervallen, in denen die Funkstille unterbrochen war, niemals nach dem Warum hat fragen lassen. "Wir hatten Angst, dass das zarte Beziehungspflänzchen wieder zerbricht", sagt sie. Dass es dann dennoch wieder zum radikalen Bruch gekommen ist, bleibt für sie ein Rätsel: "Wir haben wahrscheinlich zum falschen Zeitpunkt geatmet", sagt sie resigniert. An den schlimmsten Tagen der Verzweiflung wäre sie "am liebsten vor einen Baum gefahren", sagt Adelheid Schmitz. Geholfen habe ihr und ihrem Mann in dieser schweren Zeit eine psychologische Betreuung und der Austausch in der Selbsthilfegruppe. Nach zehn Jahren haben Adelheid Schmitz und ihr Mann nun die Suche nach einer Antwort aufgegeben. Sie wollen endgültig einen Schlussstrich ziehen. "Diese zehn Jahre haben soviel Kraft gekostet. Wir müssen jetzt alleine auf uns achten. Darauf, dass es uns gut geht", sagt sie.
In diesen Beziehungen haben selbst erwachsene Kinder bisweilen noch das Gefühl, gefangen zu sein. "Im Moment des Kontaktabbruchs fühlen sie sich mächtig, weil sie das Zepter des Handelns übernommen haben", erläutert Christiane Jendrich. Nach außen hin erscheine dieser radikale Bruch oft als bösartig. Klar sei aber auch, dass die, die den Kontakt abbrechen, oft genauso so leiden wie die verlassenen Eltern oder Geschwister. Der Schweizer Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch sieht in einem Ausbruch "eine extreme Unsicherheit, sich nicht artikulieren zu können" oder aber die Situation, dass jemand denke: "Jetzt habe ich es x-mal angedeutet, jetzt reicht's. Jetzt gehe ich, weil die andere Person zu wenig sensibel ist. " Verlassensein als Makel Viele verlassene Eltern spüren bei jeder Frage nach dem Kind die unausgesprochene Mutmaßung, dass sie doch irgendetwas falsch gemacht haben müssen, "doch irgendetwas dran sein muss, wenn Kinder nichts mehr mit ihren Eltern zu tun haben wollen". Betroffene wie Rainer Schneider empfinden die Funkstille zu ihren Kinder oder Geschwistern deshalb als Makel.
Gewalt – körperlich oder verbal – sind für mich ein Anlass, den Kontaktabbruch zu empfehlen. Was sind die weitere toxische Verhaltensweisen der Eltern? Manipulation wie zum Beispiel die Drohung von Liebesentzug à la "Du bist dann nicht mehr meine Tochter" ist eine Art von Missbrauch. Kinder sind emotional abhängig von ihren Eltern. Sie haben keine Wahl und können die Eltern nicht umtauschen. Im Erwachsenenalter ist die Abhängigkeit noch da, auch wenn sie nicht mehr so stark wirkt. Weitere Machtspiele sind Herabsetzungen, Vorwürfe und dauerndes Einmischen in das Leben der Kinder. Wo sollte ich die Grenze ziehen? Die Frage lautet eher: Wann sollte ich meine Grenze ziehen? Immer dann, wenn es mir nicht gut geht damit. Punkt. Voraussetzung dafür ist, dass ich mich selber spüre und mitbekomme, wann es reicht. Die gute Botschaft lautet: Es ist nie zu spät Grenzen zu ziehen, je eher umso wirksamer. Schluss machen mit den Eltern Wie mache ich mit meinen Eltern Schluss? Indem ich persönlich werde.
Die Psychologin glaubt jedoch, dass es immer häufiger zum Kontaktabbruch in Familien kommt. Dr. Jendrich vermutet, dass wir insgesamt bindungsunfähiger werden. Fast 100. 000 Fälle von Kindern, die ihre Eltern verlassen haben, soll es schätzungsweise in Deutschland geben. Diese Thema könnte Sie auch interessieren: Empty-Nest-Syndrom: Die heimliche Trauer von Eltern Die ewige Suche nach dem Grund "Die Kommunikation und das Miteinander waren in der Regel bereits lange gefährdet und brüchig - wie dünnes Eis", erklärt die Psychotherapeutin Claudia Haarmann der Sächsischen Zeitung. Das bedeutet, dass der Moment des Bruchs die Folge eines jahrelang schwelenden Konflikts sein kann. Und doch bleibt die Frage nach dem Warum. Denn die Ursache für den Kontaktabbruch kann auch weit in der Vergangenheit liegen. Für die Kinder steckt hinter dem Entschluss meist ein jahrelanger Entscheidungsprozess. Denn ein Kontaktabbruch ist nichts, was man mal so eben beschließt. "Man leugnet jemanden in seiner Existenz.
Doch sie fanden kein Gehör und fühlten sich nicht verstanden. So haben sie versucht, sich durch Abgrenzung und Distanzierung einen anderen Ausweg aus dem inneren Dilemma zu suchen. Dieser Prozess ist immer auch begleitet von Zweifeln, inneren Konflikten und Schuldgefühlen. Der Kontaktabbruch ist dann das äußerliche Zeichen dafür und steht für ein inneres Notsignal, ein "Ich kann nicht mehr und so wie bisher will ich auch nicht mehr! ". Wenn Kinder diese Reißleine ziehen, fühlen Sie sich schon lange missverstanden oder verletzt, oder haben das Gefühl, dass sie falsch gesehen oder nicht unterstützt oder geliebt werden oder wurden. Die Wahrheit ist: es gibt keine Nichtkommunikation. Der Kontaktabbruch ist eine Aussage: unsere Verbindung, so wie sie ist, tut mir nicht gut! Oft ist es die Geburt der eigenen Kinder, die Betroffenen bewusst machen, welche Spuren und Wunden die Herkunftsfamilie in einem hinterlassen hat und welche Auswirkungen das auf das eigene Leben hat. Manchmal ist es eine Therapie, die die Reflektion über die familiären Zusammenhänge fördert und Menschen erkennen lässt, wie stark die eigene Lebensgeschichte durch die frühe Entwicklung in der Familie geprägt ist und was das bedeutet.
Wo Stehst Du, 2024