Wo Stehst Du
Michelangelo Merisi (1571 - 1610), nach dem Geburtsort seiner Eltern Caravaggio genannt, war einer der größten Maler aller Zeiten. Seine Bilder, die sich hauptsächlich durch ihre besonders realistische Bildgestaltung und dramatischer Lichtführung auszeichneten, beeinflussten sehr stark Maler des Barocks. Das Johannesevangelium berichtet, wie nach der Kreuzigung Christi der Wiederauferstandene zunächst einer Gruppe Jünger ohne Thomas erschien. Der Abwesende entgegnete auf die Berichte, solange er nicht die Wundmale des Gekreuzigten gesehen und seinen Finger in dessen Seite gelegt habe, glaube er nicht. Als Christus dann ein weiteres Mal unter seine Jünger tritt, fordert er Thomas auf, seine Hand in seine Wunde zu legen und zu glauben. Erst jetzt antwortet Thomas: " Mein Herr und mein Gott. " Diese Szene ist in der Malerei oft aufgegriffen worden, niemals jedoch in der Drastik, die Michelangelo Merisi da Caravaggios " Ungläubiger Thomas " ihr verleiht.
Symbolisch geschieht eine ähnliche Begegnung zwischen der linken Hand von Thomas und den Fischen. Auf die Fische hinweisend, deren griechisches Schriftbild ein verschlüsseltes Glaubensbekenntnis der frühen Christen war, scheint sie zu bekennen: "Jesus Christus, Sohn Gottes, Retter" (Die Anfangsbuch- staben von Jesous – Christos – theou – hysios – soter ergeben zusammen das Wort ichtys = Fisch). "Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. " Patrik Scherrer, 01. 05. 2004 Entstehungsjahr: 1989 Stationenweg in Bissingen / Donauwörth, Jurakalk, Höhe 260 cm © Franz Hämmerle
Tausend Meisterwerke – Italienische Renaissance Caravaggio [DVD] Caravaggio: Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk Ruhe auf der Flucht nach Ägypten Concerto di giovani
Tief stößt der Apostel den Zeigefinger seiner alles andere als sauberen Hand in die Wunde Christi, mit weit aufgerissenen Augen nimmt er in sich auf, was er zum Glauben braucht. Seine von Furchen überzogene Stirn zeigt die beinahe physische Anstrengung, die für Thomas dieser Moment der Überzeugung bedeutet. Auch sonst ist das Körperliche bei Caravaggios Thomas stark betont: Seine Hände sind grob und ihre Fingernägel dunkelrandig, die Linke stemmt er energisch in die Seite, seine Nase ist geplättet fast wie die eines Boxers, der fleckige Mantel ist an der Schulter aufgerissen. Der ungläubige Thomas Auch die anderen Jünger, obgleich schon von der Identität des Erlösers überzeugt, beugen ihre Köpfe hin zum Geschehen, mit der Neigung seiner linken Hand scheint Jesus auch ihre Blicke mit in seine Wunde zu leiten. Das Gedränge der vier Häupter in der oberen Bildmitte spitzt die Dramatik des Geschehens in Caravaggios Bild ebenso zu wie die für den Künstler so typische Hell-Dunkel-Malerei.
Hinter einem massiven Mahltisch mit Fischen ragen zwei "Felsen" auf, zwei Welten symbolisierend. Davor zwei sich zugewandte Menschen. Der linke Mann ist mehr verborgen als sichtbar. Nur sein Gesicht und ein Arm sind deutlich zu erkennen. Es muss der Auferstandene sein, der Thomas wie den anderen Jüngern erscheint und den Gruß entbietet: "Friede sei mit euch! ". Ihm gegenüber steht Thomas. Er steht mit dem ganzen Oberkörper frei vor dem Felsen und damit ganz in unserer Welt. Gebannt ist sein Gesicht Jesus zugewandt. Seine linke Hand liegt auf dem Mahltisch mit den Fischen, während die Rechte zum Gruß erhoben ist und tastend versucht, die Leere zwischen ihm und Jesus zu überwinden. Spiegelbildlich zur Hand Jesu verharrt sie, schweigend das Unglaubliche auslotend. Die Spannung zwischen beiden ist zu spüren, auch das staunende Erkennen, welches seinen Ausdruck in den Augen von Thomas findet: "Mein Herr und mein Gott! " Im Glauben überwindet er alle abgründigen Hindernisse, legt er seine Hand in Jesu Seite und berührt er seine Wunden.
Wo Stehst Du, 2024