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Die Verhandlung dauert am ersten Tag nicht lange. Einer der drei Verteidiger Zschäpes, Wolfgang Stahl, verliest einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl. Die Anwälte stört, dass sie sich wie die Besucher abtasten und durchsuchen lassen müssen. Götzl überrascht mit seiner Reaktion: er setzt die weitere Prozesswoche komplett ab. Der Befangenheitsantrag wird wie alle weiteren, die bis heute gestellt wurden, von Richtern des OLG abgelehnt. Tag 2 / 14. Mai 2013: Bundesanwalt Herbert Diemer verliest den 35-seitigen Anklagesatz. Zschäpe wird der Mittäterschaft bei allen Verbrechen der Terrorzelle beschuldigt. Die Angeklagten Ralf Wohlleben und Carsten S. sollen die Pistole Ceska 83 besorgt haben, mit der die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten erschossen. Holger G. und André E. sollen den NSU unterstützt haben. Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer beantragt, den Prozess auszusetzen. Bilder vom NSU-Prozess Weitere Bilder anzeigen 1 von 26 Foto: dpa 06.
Zunächst geht es um den Tod des türkischen Schneiders Abdurrahim Özüdogru. Mundlos und Böhnhardt hatten ihn am 13. Juni 2001 in seinem Ladenlokal in Nürnberg erschossen. Im Gerichtssaal werden Fotos der Leiche und des Tatorts auf zwei Wände projiziert. Ein Polizist erläutert die Bilder in kaltschnäuzigem Ton und erwähnt, Werkstatt und Wohnung des Türken hätten einen "unaufgeräumten Eindruck" gemacht. Tag 15 / 25. Juni 2013: Ein Brandsachverständiger der sächsischen Polizei beschreibt den Zustand der Wohnung in Zwickau, die mutmaßlich Beate Zschäpe am 4. November 2011 angezündet hatte. Der Beamte beschreibt die Verwüstung und berichtet von den Waffen, die in den Räumen lagen. Tag 16 / 26. Juni 2013: Der ehemalige Verwalter des zerstörten Hauses in der Zwickauer Frühlingsstraße sagt, Zschäpe habe sich im Spätsommer 2011 vehement dagegen gewehrt, dass ein Handwerker die Tür zu ihrem Keller öffnet. In dem Raum waren möglicherweise Waffen und Munition gelagert. Tag 17 / 2. Juli 2013: Ein Beamter der Zwickauer Polizei sagt, Zschäpe habe vor ihrer Festnahme am 8. November 2011 in Jena an Selbstmord gedacht.
Einen hinreichenden Tatverdacht gegen sie hatten die Ermittler nicht. Das könnte sich nun ändern. Für Susanne E. wird es plötzlich eng. Wie die "Nürnberger Nachrichten" und der Bayerische Rundfunk am Dienstag berichteten, könnte die 36-Jährige in den mutmaßlich ersten Anschlag des NSU verwickelt gewesen sein: die Explosion einer Rohrbombe in einer Nürnberger Kneipe. Kneipenwirt will die 36-Jährige auf einem Foto erkannt haben Ein Rechercheteam der beiden Medien hat nun mit dem Pächter des zerstörten Lokals gesprochen, der bei dem Anschlag verletzt worden war. Der junge Türke hatte Zschäpes Freundin Susann E. demnach bereits 2013 auf einem Foto erkannt. Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) hatten den Wirt dem Bericht zufolge im Juni 2013 an seinem neuen Wohnort aufgesucht und ihm eine Serie von 115 Bildern vorgelegt. Der Wirt sagte demnach, "dieses Mädchen" komme ihm "dermaßen bekannt vor" und gehe ihm nicht mehr aus dem Kopf. Kurz vor dem BKA-Besuch hatte es eine Wende im NSU-Prozess gegeben.
Unser Reporter Frank Jansen begleitete den NSU-Prozess in München von Beginn an. Er war bei fast jedem Prozesstag dabei und hat über die meisten auch etwas geschrieben. Seine Reportagen sind dann jeweils verlinkt. Klicken Sie dafür einfach auf den Tag. 500 Zeugen, juristische Scharmützel. Lesen Sie hier alle Entwicklungen zur Urteilsverkündung. Und hier, warum unser Reproter findet, dass das Urteil im NSU-Prozess nicht das letzte Wort ist. Tag 1 / 6. Mai 2013: Turbulenter Auftakt. Vor dem Eingang zum Gerichtsbunker stehen Zuschauer und Journalisten in langen Schlangen. Manche Besucher sind schon in der Nacht gekommen, um sich einen der 100 Plätze auf der Tribüne im Saal A 101 zu sichern. Kurz vor zehn Uhr kommen die Angeklagten Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E.. Im Mittelpunkt steht Zschäpe, sie wird von Fotografen und Kameraleuten bedrängt und abgelichtet wie ein Filmstar. Die Frau reagiert, wie sie es nun täglich machen wird: sie dreht den Journalisten den Rücken zu.
Außerdem gab es danach keinen weiteren Mord mehr, obwohl die Bundesanwaltschaft glaubt, die Terrorzelle habe mit der Tat in Heilbronn einen Feldzug gegen Repräsentanten des Staates beginnen wollen. Dass die vielen Fragen im Prozess beantwortet werden, ist nach bisherigem Stand kaum zu erwarten. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schweigt, auch der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben sowie André E. sagen nichts. Der ebenfalls angeklagte Holger G. hat in seinem Geständnis betont, er habe von den Verbrechen des NSU nichts gewusst. Und der fünfte Angeklagte, Carsten S., der die Übergabe der Ceska 83 an Mundlos und Böhnhardt zugegeben hat, will nach seinem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene Ende 2000 nichts mehr vom Treiben der untergetauchten Ex-Kameraden mitbekommen haben.
Im NSU-Prozess sagte sie an mehreren Verhandlungstagen aus. Kurz nach dem Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe organisierte sie eine Wohnung für die drei. Zudem gab sie Zschäpe ihre Krankenkassenkarte, um ihr Besuche bei Ärzt*innen zu ermöglichen. Auch für einen Tischtennisklubausweis lieh sie Zschäpe ihre Identität. Gegen sie läuft aktuell ein Ermittlungsverfahren. Nach eigenen Angaben sei sie ausgestiegen und lediglich Mitläuferin gewesen (vgl. BR) DIE BROSCHÜRE: Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus "Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus". Hrsg. : Amadeu Antonio Stiftung Autor*innen: Enrico Glaser, Alina Jungenheimer, Charlie Kaufhold, Anetta Kahane, Ana Lucia Pareja Barroso, Hannah Peaceman, Heike Radvon, Judith Rahner, Rachel Spicker. Berlin 2018 Als PDF zum Download hier: MEHR AUF Gender, NSU, Rechtsterrorismus: "Frauen als Menschen, die eigenständig denken" 5 Jahre am Oberlandesgericht München – eine Chronik des NSU-Prozesses Alles zu Gender und Rechtsextremismus
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