Wo Stehst Du
In der Reportage "Raus bist du – Armut und Ausgrenzung" macht sich RESPEKT-Moderatorin Verena Hampl auf die Suche nach armen Menschen und fragt nach ihrer Lebensgeschichte. Wer arm ist, gehört nicht dazu "Kennen Sie jemanden, der arm ist? " – "Nein" ist fast immer die Antwort. Niemand scheint arme Menschen zu kennen, geschweige denn, selbst arm zu sein. Wissenschaftler wie den Soziologen Dr. Werner Fröhlich überrascht das nicht: Arm zu sein, bedeutet fast immer gesellschaftliche Ausgrenzung. Kurz gesagt: Wer arm ist, gehört nicht dazu und kann nicht "mitmachen". Verena Hampl besucht die Münchner Tafel. Beim Verteilen kostenloser Lebensmittel an Bedürftige wird klar: Viele Menschen, quer durch alle Milieus und Gesellschaftsschichten sind arm und angewiesen auf die Grundsicherung. "Wenn der Staat das organisieren würde, würden Sie glauben, dass der den Salat, der schon ein bisschen welk ist, rechtzeitig unter die Leute bringen könnte? Das, glaube ich, müssen Privatleute tun... Was der Staat machen müsste, ist, die Voraussetzungen zu verändern. "
Am stärksten betroffen waren armutsgefährdete Alleinlebende (60 Prozent) sowie armutsgefährdete Menschen in Haushalten von Alleinerziehenden (49 Prozent). 8 Prozent der armutsgefährdeten Bevölkerung waren nach eigenen Angaben bei Rechnungen von Versorgungsbetrieben in Zahlungsverzug (Bevölkerung insgesamt: 3 Prozent). Auch bei Hypotheken- oder Mietzahlungen hatten 4 Prozent der armutsgefährdeten Zahlungsrückstände (insgesamt: 2 Prozent). Bei der selbst bewohnten Wohnung bzw. dem selbst bewohnten Haus traten in vielen Fällen Feuchtigkeitsschäden auf: Rund ein Fünftel (21 Prozent) der armutsgefährdeten Bevölkerung gab 2016 an, das Dach sei undicht, es gebe Feuchtigkeitsschäden in Wänden, Böden bzw. im Fundament oder Fensterrahmen und Böden seien von Fäulnis befallen. Insgesamt beklagten 13 Prozent der Bevölkerung solche Mängel. Weitere Belastungen durch die Wohnsituation betrafen die nähere Wohnumgebung: Jede vierte Person (25 Prozent) litt 2016 unter Lärmbelästigung. Bei den Armutsgefährdeten war es jede dritte Person (32 Prozent).
Der Entwicklungsausschuss der OECD (DAC) versteht unter Armut verschiedene Arten von Entbehrungen im Zusammenhang mit der Unfähigkeit, menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen. Zu diesen Bedürfnissen gehören vor allem der Konsum und die Sicherheit von Nahrungsmitteln, Gesundheitsversorgung, Bildung, Ausübung von Rechten, Mitsprache, Sicherheit und Würde sowie menschenwürdige Arbeit. Als absolute Armut ist dabei ein Zustand definiert, in dem sich ein Mensch die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse nicht leisten kann. Relative Armut beschreibt Armut im Verhältnis zum jeweiligen Umfeld eines Menschen. Armut ist ein dynamischer Prozess und keine Eigenschaft. In der Regel sind es einschneidende familiäre Ereignisse – zum Beispiel Krankheitsfälle, Todesfälle, das Aufbringen einer Mitgift für eine Hochzeit – oder größere Krisen – wie bewaffnete Konflikte, Naturkatastrophen, Wirtschaftsflauten – die Menschen in Armut stürzen. Vielen Menschen gelingt es, ihre Lebensumstände so zu verbessern, dass sie sich aus der Armut befreien können.
Zwar gibt es kein unbestreitbares, für alle Menschen auf der Welt gleichermaßen gültiges Kriterium, nach dem sich bestimmen ließe, wer arm ist. Aber dies kann es dem Forscher zufolge auch gar nicht geben, denn Armut ist immer eine Frage des wirtschaftlichen und sozialen Umfelds. Wer zum Beispiel über 500 Euro im Monat verfügt, kann in Litauen anständig leben, in Luxemburg aber kaum ein Zimmer mieten. Um dieser Schwierigkeit gerecht zu werden, nähert sich die Forschung der Armut in verschiedenen Schritten. Am Anfang steht die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Armut. Als absolut arm gilt, wer nicht einmal die physischen Grundbedürfnisse befriedigen kann: Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Grundversorgung. Diese Form von Armut ist in Deutschland nicht die dominierende, aber durchaus existent. Schätzungen kamen zum Beispiel für das Jahr 2005 auf 200. 000 bis 800. 000 Personen, denen es am Nötigsten fehlte. Weiter verbreitet ist hierzulande relative Armut, die die Teilnahme am "normalen" gesellschaftlichen Leben verhindert.
Diese Rechengröße wird als "bedarfsgewichtetes" oder "Äquivalenzeinkommen" bezeichnet. Je nach Datensatz eine andere Armutsschwelle Bei welchem Wert die Armutsschwelle liegt – und wie hoch damit die Armutsquote ist – hängt entscheidend vom gewählten Datensatz ab. Genutzt werden vor allem der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes, eine sehr umfangreiche Erhebung, die aber nicht jedes Jahr aktualisiert wird, das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung betriebene Sozio-oekonomische Panel (SOEP) oder Daten der EU-Befragung "Leben in Europa" (EU-SILC). Jeder der Datensätze hat Vor- und Nachteile – und alle führen zu etwas unterschiedlichen Armutsschwellen und -quoten. Dies heißt zwar nicht, dass Armut willkürlich definiert ist, eröffnet jedoch einen gewissen Spielraum, um politisch erwünschte Ergebnisse zu erzeugen. So lag die Armutsschwelle im regierungsamtlichen Zweiten Armuts- und Reichtumsbericht von 2005 noch bei 938 Euro, im nächsten Bericht von 2008 betrug sie nur noch 781 Euro.
Dadurch fallen einfache Arbeitsplätze weg oder sind schlecht bezahlt. Mehr Teilzeitkräfte: In der Regel ist der Stundenlohn bei Teilzeitbeschäftigen geringer als bei Vollzeitarbeitnehmern.
Materielle Armut: Materielle Armut bedeutet nicht ausreichend Geld, Essen, Kleidung und Wohnraum zu haben. Emotionale Armut: Manchmal haben Erwachsene nur wenig Zeit für ihre Kinder oder können ihnen ihre Zuneigung nicht zeigen, das heißt sie hören den Kindern nicht zu oder nehmen sie nicht in den Arm und trösten sie, wenn sie traurig sind. Immer dann, wenn Kinder vernachlässigt und alleine gelassen werden, ist von "emotionaler Armut" die Rede. Soziokulturelle Armut: Arme Menschen werden oft von der Gesellschaft ausgeschlossen. Weil sie kein Geld haben, können sie nicht an gemeinschaftlichen Freizeitaktivitäten oder kulturellen Angeboten wie Konzerten oder Theateraufführungen teilnehmen - das grenzt sie aus.
Besonders bei einkommensschwachen Haushalten kann die Wohnkostenbelastung zu starken Einschränkungen führen. Als weiterer Kostenfaktor kommen die Energiekosten hinzu, die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen sind. Auch dies stellt gerade für einkommensschwache Haushalte eine überdurchschnittlich starke finanzielle Belastung dar. Liegt der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Haushaltseinkommen höher als 40 Prozent, geht man einer EU-Konvention folgend von einer Wohnkostenüberbelastung aus. Knapp 14 Prozent der in Deutschland lebenden Personen fühlten sich 2016 nach eigener Einschätzung durch ihre monatlichen Wohnkosten wirtschaftlich stark belastet. Unter der von Armut betroffenen Bevölkerung traf das auf 25 Prozent zu. Gegenüber 2008 hat sich die Belastung nach Einschätzung der befragten Haushalte damit verringert (2008 insgesamt: 24 Prozent; armutsgefährdet: 36 Prozent). Der Anteil am verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen, den Menschen für Wohnkosten aufwenden mussten, lag 2016 bei durchschnittlich 27 Prozent, bei armutsgefährdeten Personen sogar bei 51 Prozent.
Wo Stehst Du, 2024