Wo Stehst Du
Immerhin versteht es der in Altona geborene Filmemacher es wie kaum ein Zweiter, speziell die Hamburger Milieus authentisch zum Leben zu erwecken. Eins zu eins ist Strunks Story sowieso nicht zu verfilmen, weil die Struktur des Romans alles andere als filmtauglich ist. Mehr als die Hälfte des Buchs widmet sich Strunk Honkas geschundener Psyche und dem Milieu, in das er rund um den Goldenen Handschuh tief abtaucht. Die Morde rücken erst viel später in den Fokus, wenn der Leser schon eine gewisse Art von Verständnis für diese mitleidserregende Kreatur Honka entwickelt hat. Doch genau dieser Schritt fehlt bei "Der Goldene Handschuh" komplett, weil Akin natürlich nicht so lange warten kann und die bestialischen Morde dramaturgisch nachvollziehbar zu einem wichtigen und immer präsenten Bestandteil macht – und stattdessen die Nebenhandlung um die gestörte, drei Generationen umfassende hanseatische Reederfamilie von Wilhelm Heinrich von Dohren (WH1) streicht. Im Film ist nur eine abgeschwächte Version seines Enkels WH3 geblieben, der als Teenie Willi ( Tristan Göbel) seine hübsche Mitschülerin Petra ( Greta Sophie Schmidt) erobern will und dazu auch mal im Goldenen Handschuh vorbeischaut.
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Das zeigt sich bei Honka, im "Zum goldenen Handschuh", aber auch im Produktionsdesign, das herrlich schäbig und verranzt ist, da wird der Dreck auf der Straße endlich mal im Kino sichtbar. Auch so waren die 1970er Jahre in der Bundesrepublik. Aus dem Radio kommen Schlager, gefeiert wird mit Astra, Korn und Doornkat und einer Tüte Chips. Das Wirtschaftswunder hat nicht alle mitgenommen, aber viele haben noch ganz kleinbürgerliche Träume: eine Wohnung, eine Beziehung. Die Erwachsenen haben den Krieg noch miterlebt, sie sind traumatisiert und am Rand der Gesellschaft gelandet. Doch in Vorstädten träumen die Jugendlichen schon von einem aufregenden Leben. Auch das ist eine schöne Gegengeschichte in diesem Film: Der Junge, der dem Mädchen seiner Träume zeigen will, wie weltmännisch er denn ist und sie mit in den Goldenen Handschuh nimmt. Nicht nur sind sie aufgrund ihres Alters völlig fehl am Platze, er verkennt auch die Gefahr dieses Ortes – und das wird nicht für beide gut ausgehen.
In London gibt es Jack-the-Ripper-Touren. Touristen werden dann die Orte geführt, an denen Jack the Ripper gemordet hat – schaurige Unterhaltung, garantiert gefahrlos. Auch auf St. Pauli kann man eine Kriminaltour machen und sich von ehemaligen Polizeibeamten an Orte führen lassen, die durch Verbrechen bekannt sind. " Der Goldene Handschuh" von Fatih Akin wird vermutlich nicht dafür sorgen, dass diese Touren häufiger gebucht werden. In seiner Adaption von Heinz Strunks gleichnamigem Roman geht der Hamburger Regisseur nämlich vollends kompromisslos vor. Fritz Honka hat zwischen 1970 und 1975 in seiner Wohnung in Hamburg-Ottensen wenigstens vier Frauen ermordet. Alle waren Gelegenheitsprostituierte, Stadtstreicherinnen, die nicht vermisst wurden – und die für ein alkoholisches Getränk schon einmal mit einem Mann mitgegangen sind. Kennengelernt hat Honka die Frauen meist im Umfeld des "Goldenen Handschuh", einer Kiezkneipe voller Trinker. Und Fatih Akin hat diese Geschichte konsequent als Horrorfilm verfilmt.
Wo Stehst Du, 2024