Wo Stehst Du
"Früher wurden Mütter fürs Ziehenlassen der Kinder mit dem Großmuttersein 'belohnt'", erklärt Teubert. "Das ist heute nicht zwangsläufig der Fall. Es werden weniger Frauen Mütter und entsprechend weniger Großmütter. " Bettina Teubert leitet die Selbsthilfegruppe "Empty Nest Moms", um Müttern über den Verlustschmerz hinwegzuhelfen. Gut 200 Frauen waren es in den vergangenen vier Jahren. "Wenn sich Wege trennen, ist das immer ein Einschnitt. Oft wird Eltern dabei erstmals klar, wie viel Zeit und Raum die Kinder eingenommen haben", erklärt Bettina Teubert, selbst Mutter zweier ausgezogener Kinder. "Man wird sich darüber bewusst, wie alt man geworden ist und was man eigentlich alles vorhatte im Leben. " Statt die neue Zweisamkeit zu genießen, kriselt es häufig. Das belegt eine Studie der Heidelberger Soziologen Thomas Klein und Ingmar Rapp. Im ersten Jahr nach dem Auszug der Kinder besteht für die Eltern ein erhöhtes Trennungsrisiko. Von den 4706 untersuchten Ehen zerbrachen 17 Prozent, als die Kinder aus dem Haus waren.
Das ist eine Gefühlslage, die unterschiedliche Ausprägungen hat. Die einen trauern mehr, die anderen fühlen sich einsam. Für viele ist es ein Zustand der Leere, der mit Verlustangst oder Angst vor Entfremdung von den Kindern einhergeht. Das erschwert den Ablöseprozess. Es gibt dazu keine genauen Zahlen, aber es betrifft in etwa ein Drittel der Mütter. Berufstätige Mütter haben es im Gegensatz zu Frauen, die ganz in ihrer Mutterrolle aufgegangen sind, einfacher. Wie kann man sich auf den Auszug des Kindes richtig vorbereiten? Am besten ist es, wenn man sich schon frühzeitig darauf einstimmt und überlegt, welche Lebensziele man noch hat. Kann ich mich beruflich verändern? Habe ich Hobbys, denen ich nachgehen möchte? Man sollte sich bewusst machen, dass die Möglichkeiten, die sich ergeben, auch Freiheit schenken. Und man sollte sich darüber im Klaren sein, dass es dank moderner Medien relativ einfach ist, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Wie bewältigt man diese Situation gemeinsam als Paar?
Wenn wir Glück haben, zeigen sie uns, dass sie sich auch ein wenig vor dem Neuen fürchten. Manch eine Mutter oder ein Vater fühlt sich vielleicht verletzt, weil sie uns scheinbar so leicht und selbstverständlich verlassen. Studium, Partys, neue Freunde Aber unsere Kinder erleben, was jedem Ende innewohnt: Abschied, Verlust und Loslassen. Sie zeigen das oft nicht, weil sie uns beschützen wollen. Und weil sie uns zeigen wollen, dass sie es schaffen, und weil die Aussicht auf ein neues, eigenes Leben alles überstrahlt. Deshalb erzählen sie nichts von Heimweh und Niederlagen. Das tun sie frühestens, wenn sie es überwunden haben. Sie erzählen uns von Ausbildung, Studium, Partys, neuen coolen Freunden und wie toll alles ist. Und das machen sie richtig, denn es geht uns nichts an, wie sie ihr Leben gestalten. Bleibt die Frage, ob wir auch in ein verändertes Leben gehen. Ob wir eigene Träume, die wir bisher zurückgestellt haben, verwirklichen und mit der Kraft, die aus unserer Familiengeschichte gewachsen ist, neue Wege beschreiten.
Eine Botschaft an die Kinder kann sein: "Wir sind immer für dich da, wenn du uns brauchst. Aber in den Zeiten, in denen du uns nicht brauchst, sorgen wir für uns. " Kein Mausoleum Gestalter des Familienlebens sind nicht nur die Eltern, auch die Kinder sind herausgefordert, daran mitzuwirken. Mama muss nicht jedes Mal ein vollkommenes Menü auf den Tisch zaubern. Kinder können ihr Bettzeug mitbringen, sie müssen nicht bei jedem Besuch ein Chaos hinterlassen. Die alten Kinderzimmer dürfen einer neuen Bestimmung übergeben werden. Sie sind kein Mausoleum, dass die Kindheit für immer aufbewahrt. Wir dürfen sorgfältig prüfen, was bleiben kann und was gehen muss. Wir haben die Erlaubnis, für das Neue Platz zu schaffen, innerlich und äußerlich. Das Tempo bestimmen wir selbst. Gestaltung bezieht sich sehr auf die nicht greifbaren Dinge. Es kann hilfreich sein, das mit Praktischem sichtbar zu machen. Beide, die Nestflüchtlinge und die Zurückgebliebenen, sind herausgefordert, ihren Platz zu finden in diesem Familienkonstrukt.
Nach harmonischer Zweisamkeit mit Ivo, die schon seit Jahren viel zu kurz gekommen war. Nach Mozartklängen beim Frühstück. Nach kleiner Bügelwäsche. "Mir schwebte eine Art zweite Flitterwochen vor", sagt die 47-Jährige, "ich wollte mich mit Ivo wieder so jung fühlen wie vor den Kindern. " Doch das genaue Gegenteil trat ein. Kofferpacken, eine laute, fröhliche Abschiedsparty, ein tränenreicher Abschied auf dem Flughafen, dann fuhren Elma und Ivo zurück in ihre kinderfreie Wohnung. Sie hätten stolz sein können, beide Söhne hatten ein gutes Abitur und ein Stipendium für ein College in Upstate New York geschafft, ersparten so ihren Eltern teure Studiengebühren. Aber sie waren nicht stolz, sie waren unglücklich. "Der Auszug meiner Kinder fühlte sich an wie ein mentaler Alterungsschub, wie ein Abschied vom Leben. In dem man gebraucht wurde, das Brot als Laib kaufte und nicht scheibchenweise. In dem die Mahlzeiten laut und die Gespräche jung waren. Ivo und ich waren von einer Familie zu einem alten Ehepaar geschrumpft.
Vor allem bei alleinlebenden Frauen ist der Fortgang der Kinder besonders schmerzhaft, da sie vielfach alleinige Ansprechpersonen waren und zudem die Verantwortung oft in ihren Händen lag und von ihnen als Person mehr Nähe und Bindung in die Beziehung eingebracht wurde. Alleinerziehende Frauen erleben den Fortgang ihrer Kinder deutlicher, intensiver und setzen sich bewusster damit auseinander. Gerade die Frauen, die viel von ihrem Eigenleben ihren Kindern zuliebe aufgeben mussten, weil sie allein in der Erziehungs- und Versorgungsverantwortung standen, leiden unter dem Auszug der Kinder stärker. Nach dem Fortgang der Kinder wird mit der Zeit die andere Seite der neuen Lebenssituation deutlich: mit den gewonnenen Freiräumen lassen sich wieder alte und/oder neue Freizeitmöglichkeiten, ehrenamtliche Tätigkeiten oder die Entdeckung neuer Berufsfelder realisieren und lange gehegte Gestaltungsträume in Taten umsetzen. Wie kann ich den Auszug meiner Kinder von zu Hause positiv gestalten? Neue Forschungen zeigen auf, dass die Mütter mehrheitlich den Auszug der Kinder akzeptieren und den neu gewonnenen Freiraum und die Arbeitsentlastung in Haushalt und Erziehung genießen.
Theater, Kino, Oper, Restaurantbesuche. "Wir waren plötzlich unabhängig und fanden es schön. Doch der Schmerz kam immer, wenn ich allein war", sagt Tina Thinius. Es dauerte ein Jahr, bis sie wieder aus der Traurigkeit herausfand. Bis sie begriff, dass der Auszug der Kinder nicht nur ein Verlust, sondern auch eine Riesenchance ist. "Ich habe gemerkt, dass ich etwas für mich finden muss, das mich befriedigt, wo ich Leistung zeigen kann und Feedback von anderen kriege. " Die Frau, die ihre Berufstätigkeit jahrelang für die Familie zurückgestellt hatte, absolvierte eine Ausbildung zum Personal Coach. "Ich konnte mich mit 50 Jahren noch einmal neu verwirklichen", erklärt Tina Thinius, die heute als selbstständiger Coach arbeitet (). "Durch meine neue Unabhängigkeit haben mein Mann und ich wieder näher zueinander gefunden, weil Uwe damit etwas anfangen konnte. Es entwickelten sich Diskussionen auf Augenhöhe. " Schließlich verwirklichte das Paar, das seit 37 Jahren verheiratet ist, einen gemeinsamen Traum: Sie kauften ein Bauernhaus und schufen so einen neuen Familientreffpunkt.
Wo Stehst Du, 2024