Wo Stehst Du
Mein Sohn aber war extrem. Wenn ich ihm dort Hausschuhe anzog, wurde er wütend, schrie und warf mit Gegenständen um sich", erinnert sich die 42-Jährige. Auch der Kontakt zu anderen Kindern fiel Tim schwer, er blieb für sich oder reagierte auf andere Kinder impulsiv, attackierte sie. "Das waren seine Versuche der Kontaktaufnahme, er wusste einfach nicht, wie man auf andere Menschen zugeht", weiß Fischer heute. Erst als Tim Krampfanfälle bekam, wenn er sich aufregte, suchte sie Rat bei einem Kinderarzt, der sie ans Sozialpädiatrische Zentrum vermittelte. "Dort wurde erstmals die Vermutung geäußert, dass es Asperger sein könnte. " Tim besuchte eine Ergotherapeutin, die mit ihm Übungen zur Motorik, Wahrnehmung, zum Sozialverhalten und zur Konzentration machte. "Das lief eigentlich ganz gut. Bis sich im Kindergarten Veränderungen abzeichneten und Tims Ausraster extremer und häufiger wurden. "Seine Gruppenleiterin im Kindergarten ging, und die Einschulung stand bevor. Das konnte mein Sohn nicht verarbeiten.
Die Betroffenen können sich nicht an die jeweilige Situation anpassen und verhalten sich so oft falsch. Sie reagieren nicht adäquat auf Gefühle des anderen wie Ärger oder Trauer, neigen hingegen aber selbst zu heftigen Wutanfällen. Asperger-Autisten sind gnadenlos ehrlich und erkennen es nicht, wenn Höflichkeitslügen angebracht wären ("Mama, deine neue Frisur sieht scheußlich aus. "). Sie wirken auf Außenstehende unfreundlich und rüde. Sie haben häufig nur wenige oder sogar überhaupt keine Freunde, obwohl sie gerne welche hätten, und leben in der Folge eher introvertiert. Sie sind sehr ich-bezogen und beschäftigen sich überwiegend mit den Themen, die ihnen gerade besonders interessant erscheinen. Veränderungen nicht erwünscht: Repetitive und stereotype Verhaltensmuster Asperger-Autisten kommen mit Veränderungen nicht gut klar. Schon ein anderer Weg zur Schule, der Einkauf in einem anderen Supermarkt als üblich oder die abweichende Zubereitung des Lieblingsessens kann sie völlig überfordern und beispielsweise zu einem panikartigen Zustand führen.
Immer wieder wurde Stephanie Fischer in die Schule zitiert, um ihr klar zu machen, dass Tim eine andere Schule besuchen muss. "Aber ich wollte ihn davor bewahren, sich schon wieder woanders neu eingewöhnen zu müssen", sagt Tims Mutter. Auf Medikamente hatte sie bis dahin komplett verzichtet. Schließlich aber sah sie keine andere Möglichkeit mehr. "Ich wollte meinem Kind ermöglichen, zu zeigen, was in ihm steckt. Dass er Stifte nicht nur zerstören, sondern auch benutzen kann, um ganze Sätze zu schreiben. " Für Tims Mutter war es ein schwerer Schritt, ihrem Sohn Medikamente zu verabreichen. Doch sie halfen ihm, seinen Körper zu kontrollieren. "Ich möchte ganz sicher keine Lanze für die Medikamente brechen. Aber für uns war es an dieser Stelle die richtige Entscheidung. Er war so stolz auf seine ersten Erfolgserlebnisse. " Ab dem zweiten Schuljahr klappte es schließlich bestens: Wenn Tim seine Auszeiten brauchte, war sein Integrationshelfer zur Stelle. Doch immer seltener kam er zum Einsatz.
Entspannt bleiben, Ruhe demonstrieren und geduldig abwarten – so kommt man dem Trotz am besten entgegen. Konkret heißt das: Bekommt das Kind in der Öffentlichkeit einen Wutanfall, sollte man mit ihm in einen ruhigeren Raum gehen. Schon das hilft dem Kind sich zu beruhigen. Die Gefühle des Kindes ernst nehmen. Es als "unsinnig" oder "unlogisch" abzutun, wäre ein grober Fehler. Jede Emotion hat ihre Berechtigung – ganz gleich, in welchem Alter. Ganz wichtig: Nach einem Wutanfall ist das Bedürfnis des Kindes nach Zuneigung am stärksten. Gib ihm die Aufmerksamkeit und Liebe, die es jetzt braucht. Klare Regeln aufstellen! Jedes Kind braucht Regeln, die das Zusammenleben vereinfachen. Es gilt: Lieber weniger klare statt vieler Regeln aufstellen. Die wenigen Verbote sollten dann aber konsequent eingehalten werden. Besser als lange Vorträge sind kurze, prägnante und leicht verständliche Formulierungen. Wenn das Kind anfängt zu hauen, zu treten und handgreiflich zu werden, hilft nur eins: Ein lautes "Nein", ihm in die Augen schauen und die Arme festhalten.
Viele denken gleich an den Film " Rain Man "* mit Dustin Hoffman. Auch bei mir war das der erste Gedanke. " Kennst du einen Autisten, dann kennst du EINEN Autisten", sagt man immer so. Wo liegt die Grenze zwischen normalem kindlichem Verhalten und einer autistischen Störung? Unauffällig bis zum 3. Lebensjahr Unser Sohn entwickelte sich nach einer normalen Schwangerschaft und Geburt bis zum dritten Lebensjahr ohne große Auffälligkeiten. Er hatte die eine oder andere kleine "Macke", wie wir es liebevoll abtaten. Ich bin jetzt nicht die Übermutter, die in jedes untypische Verhalten etwas hinein interpretiert. Viele Dinge sind uns erst mit der Testung im Nachhinein bewusst aufgefallen. Unter anderem: Ein- und Durchschlaf-Probleme, kein Interesse an anderen Kindern, wenig Spielbedürfnis, ständig wiederkehrende Rituale, Wutanfälle bis zur Erschöpfung, Stereotypen (im Kreis laufen, Dinge ablecken), hohe Geräuschempfindlichkeit, viel Phantasie, extreme Merkfähigkeit, ungewöhnlich ausgefeilte Sprache, eigene Worterfindungen.
"Es war eine große Erleichterung", sagt Ulrike Meinen. "Endlich konnten wir gezielt helfen. " Welche sinnvollen Therapien es für Kinder mit Asperger-Autismus gibt, erläutert Professorin Christine Freitag. In Spiel- und Gruppentherapien können die Betroffenen soziales Verhalten lernen. "Wie man teilt, wie man sich begrüßt und verabschiedet, Geben und Nehmen, mit Konflikten umgehen, Freundschaften pflegen – das ist alles eine Sache der Übung", betont die Expertin. Auch daheim sollte für klare Strukturen gesorgt und einer Reizüberflutung, die autistische Kinder schnell überfordert, vorgebeugt werden. Gute Perspektiven Und in der Schule? "Es ist von großem Vorteil, wenn die Schule gegenüber behinderten Kindern tolerant ist", betont Freitag. Es kann sinnvoll sein, mit den Schulbehörden über eine Sonderregelung für Schulpausen zu sprechen, damit das autistische Kind im Klassenzimmer bleiben darf. Eltern können zudem einen Integrationshelfer beantragen, der das betroffene Kind in der Schule unterstützt.
Wo Stehst Du, 2024