Wo Stehst Du
Dort lässt der junge Mann Marschmusik auflegen, was zu einer der bekanntesten Ozu-Szenen führt, als der junge Mann durch die Bar marschiert und der etwas verlegene Hirayama und die Bar-Chefin hinter der Theke (die Hirayama an seine verstorbene Frau erinnert) den Gruß erwidern. Als dann der junge Mann sagt: "Wenn wir den Krieg gewonnen hätten, wären wir jetzt in New York! ", erwidert Hirayama nachsichtig: "Gut, dass wir ihn nicht gewonnen haben. " Durch die Begegnung mit dem alten Lehrer und dessen Tochter begreift Hirayama, dass er sich von seiner Tochter trennen muss. Über Umwege – eine Chance war bereits verpasst – wird schließlich ein geeigneter Bräutigam gefunden, es kommt zur Hochzeit. Als die Feier (die nicht gezeigt wird) vorbei ist, sitzt Hirayama mit seinen alten Freunden zusammen, geht dann alleine in die Bar mit der Madam, die ihn an seine Frau erinnert, um etwas zu trinken und hört wieder die Marschmusik. Dunkel gekleidet wird er gefragt ob er von einer Beerdigung komme. Ja, antwortet er, das könne man so sagen und lässt sich Whisky pur einschenken.
Die frühen Aufzeichnungen erscheinen in ihrem fragmentarischen Charakter selbst wie Arkaden: Ergänzt wird das Bild, das man sich von de Chirico gemacht haben mag, um einen umwerfend lässigen, gnadenlos sich selbst lobenden und doch auch verblüffend zärtlichen Porträtisten, den man hinter all der mysteriösen Arkaden-Schwermut seiner ikonisch erstarrten Gemälde kaum vermutet hätte. Es ist ein durchgehend großes Vergnügen, diesem Temperamentsbolzen beim besessenen Nachdenken über sein eigenes Schaffen, beim fiesen Abkanzeln seiner Kollegen, beim kulturhistorisch versierten Spott über den Impressionismus und beim ebenso eleganten wie zupackenden Charakterisieren von alten Meistern und neuen Städten zu folgen. Als er sich zu Beginn der Zwanzigerjahre einer naturalistischeren Malweise zuwandte, nahmen ihm das vor allem die Surrealisten übel. Auch dazu bezieht er gerne und sarkastisch Stellung. "Wer sich nicht für mich interessiert, den verachte ich", schrieb er ja schon, als er noch keine Berühmtheit war.
Bis heute ist der Kunstkritik der späte de Chirico weitgehend peinlich. Vielleicht war er aber auch nur ein Avantgardist in Sachen Retro-Stil, wie es der Kunsthistoriker Laszlo Glozer in seinem Nachwort zu bedenken gibt. Mag sein "zurückkehrender Odysseus" von 1968 die Grenze zum Lächerlichen überschreiten - wir sehen ein Wohnzimmer, in dessen Mitte ein blau gebauschter Wasser-Teppich gebreitet ist, darauf ein Männlein im hölzernen Paddelboot -, aber: Welches Reiseunternehmen würde nicht gerne auf eine solche Idee gekommen sein - zur Not zumindest? Die Lektüre von "Das Geheimnis der Arkade" lädt zu solchen Assoziationen freundlich ein. De Chirico hat ja selbst vor der Werbung sein Auge nicht verschlossen, hat im Gegenteil gefordert: "Man muss das Auge zu entdecken wissen, in allem". Momente der Offenbarung nennt er das, und sie sind für den Maler, der sich und den Betrachter gefälligst amüsieren und nicht langweilen soll, unerlässlich und überall auffindbar, auch und gerade im Belanglosen, wie er klarstellt.
Wo Stehst Du, 2024