Wo Stehst Du
S eine Thesen zur deutschen Leitkultur wird Raed Saleh an diesem Montag vor der Frauenkirche in Dresden vorstellen – eine nur auf den ersten Blick ungewöhnliche Wahl des Landespolitikers aus Berlin, denn auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche demonstriert sonst Pegida. Diesen öffentlichen Raum aber will der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus nicht Demokratieverächtern überlassen. Es ist ein selbstbewusster Auftritt des 40-Jährigen – und womöglich eine gezielte Provokation. "Ich Deutsch – Die neue Leitkultur" (Hoffmann & Campe) heißt sein Buch, das der gebürtige Palästinenser mit Co-Autor Markus Frenzel verfasst hat. Saleh versucht, "eine Hausordnung für unser Land" zu definieren. "Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion, was heutzutage Deutschsein heißt", schreibt Saleh. Er will "eine Art Regelwerk für Neuankömmlinge", das zeigt, "was wir in Deutschland auch in Zukunft nicht aufgeben möchten". Das ist ein hoher Anspruch, an dem schon einige gescheitert sind. Bisherige Versuche, eine deutsche Leitkultur zu etablieren – von Friedrich Merz (CDU) bis zu Innenminister Thomas de Maizière (CDU) –, lösten vor allem bei der Linken heftigen Protest aus.
Das sind die Antisemiten in Armani-Anzügen und die Rechtspopulisten. Manche versuchen auch, eine islamfeindliche Stimmung zu erzeugen. Ich kann davor nur warnen. Menschen, die Träger einer Kippa angreifen, gehören genauso bestraft wie Menschen, die versuchen, einer Frau das Kopftuch vom Kopf zu reißen. Wenn Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan antisemitisch erzogen sind, dann muss man da ein Stoppschild aufstellen und sagen, bis hierhin und nicht weiter. Man schlägt bei uns in Deutschland nicht mit einem Gürtel auf Menschen anderer Religionen los! Der SPD-Politiker Raed Saleh, Fraktionschef im Berliner Abgeodnetenhaus, bei der Präsentation seines neuen Buchs "Ich deutsch" Sie sind selber Muslim. Wie wird das Thema in Ihrer Moscheegemeinde diskutiert? Ich habe keine Moscheegemeinde. An mir würde wohl jeder Imam verzweifeln. Leider gehe ich zu selten in die Moschee. Ich bin ein eher säkularer Muslim, aber die Werte sind mir wichtig. Es leben in Deutschland 4, 5 Millionen Muslime. Die überwiegende Mehrheit fühlt sich als Teil Deutschlands.
Wichtig sei, dass Zugezogene sich in Deutschland zugehörig fühlen. Denn "wer ausgegrenzt wird, entwickelt keine Bereitschaft dazu, auch eine schwierige Last wie die der Nazi-Diktatur mitzutragen". Salehs Entwurf umfasst einen Allgemeinkonsens, zu dem sich die Menschen hierzulande zumindest in den meisten Punkten bekennen dürften. Fraglich ist jedoch, ob eine Mehrheit bereit ist, dem Islam neben dem Christentum eine gleichberechtigte Stellung einzuräumen, wie Saleh vorschlägt. Doch auch Muslimen verlangt er einiges ab. Wer ein Minarett bauen dürfe, müsse auch akzeptieren, wenn sich zwei Männer auf der Straße küssen. Lesen Sie auch Saleh selbst ist angekommen in Deutschland, besitzt inzwischen eine eigene Onlinedruckerei. In der SPD hat er schnell Karriere gemacht, auch wenn er 2014 einen Mitgliederentscheid über die Spitzenkandidatur für das Amt des Regierenden Bürgermeisters verlor. Sein Konkurrent Michael Müller gewann. Dennoch erfährt er immer wieder Ausgrenzung. Vielleicht liegt das auch an seinem Akzent, der ihn klar als Migranten ausweist.
Wo Stehst Du, 2024